Einen genaueren Blick wert ist die im „Sachinformationsblatt zum Bürgerentscheid am 1. November 2020" aufgeworfene Frage „Bleiben Anlieger während der Bauphase erreichbar?"
"Im Zuge der Baumaßnahmen für die CityBahn werden die Straßen im Streckenverlauf modernisiert und Leitungen erneuert, sodass des dort in den nächsten Jahren zu keinen weiteren neuen Beeinträchtigungen kommen wird."
Sog. Sachinformationsblatt der Stadt Wiesbaden zum Bürgerentscheid am 1. November 2020
Das klingt beim „Überfliegen" des mit Steuermitteln auf Hochglanz polierten Empfehlungsschreibens für die CityBahn zunächst unspektakulär. In Wahrheit handelt es sich um eine folgenträchtige Aussage, sollte die CityBahn in Wiesbaden Realität werden. Denn acht Kilometer neue Versorgungsleitungen nebst erforderlichen neuen Einstiegsschächten müssten entlang der CityBahn-Strecke in Wiesbaden verlegt werden.
Die Tiefenlagen der unterirdischen Arbeiten orientieren sich dabei weitgehend an den vorhandenen Kanaltiefen. Diese sind im Plangebiet sehr unterschiedlich und liegen zwischen 2,50 m und bis zu 10 m tief. Hierfür sind nicht nur zahlreiche Baumfällungen geplant. Die betreffenden Bauarbeiten vollziehen sich teilweise auch unter den Kronentraufen und somit mit hoher Wahrscheinlichkeit im Wurzelbereich auch bislang nicht zur Fällung vorgesehener Bäume. Es hat durchaus einen Grund, warum unterhalb einer Kronentraufe zzgl. 1,5 Meter Puffer gem. mehreren anerkannte Regelwerken (Bspw. RAS-LP4, ZTV-Baumpflege u. a.) keine Tiefbaumassnahmen vorgenommen werden dürfen.
Insbesondere Altbäume können häufig Wurzelschäden nicht mehr kompensieren und gehen in den Folgejahren langsam ein. Ein Absterben auf Raten, das bislang nicht öffentlich thematisiert wird.
In Münster müssen aktuell 16 Eichen gefällt werden, deren Wurzeln bei Bauarbeiten (Glasfaserausbau) beschädigt wurden. Beim Einsatz von Baggern werden die Baumwurzeln durch Zerquetschung und Zerfaserung zerstört, was den Einlass von Schadorganismen begünstigt. Hierdurch wird wiederum in der Folgezeit die Standsicherheit des betroffenen Baums reduziert und er wird aus Verkehrssicherungsgründen gefällt.
Und nun im Anschluss ein Foto vom unteren Abschnitt der Wiesbadener Allee zwischen Landeshaus und Theodor-Heuss-Ring: Die Kronentraufen der Linden treffen sich fast über der Fahrbahnmitte - und dies sogar ohne die o. a. zuzüglichen 1,5 Meter Puffer!
Die folgenden, von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen angefertigten Aufnahmen verdeutlichen, wie schnell bei Straßenbauarbeiten Wurzeln geschädigt oder gar zerstört werden können.
Nach Recherchen der Baumschutzinitiative werden die o. a. Kanalbaumaßnahmen auch Privatgrundstücke tangieren. Falls notwendig, werden auch auf diesen Privatgrundstücken stehende Bäume und Sträucher beseitigt werden müssen. Dies kann sogar dann notwendig sein, wenn die eigentliche Kanalbaumaßnahme im öffentlichen Verkehrsraum stattfindet. Führt man sich vor Augen, wieviele Monate solche Arbeiten teilweise in Anspruch nehmen, möchte man nicht zu den betroffenen Grundstückseigentümern gehören.
Hinzu kommt, dass die tiefen Grabungen für Versorgungsleitungen (Abwasser, Strom, Gas, Telekommunikation etc.) auch auf den Wasserhaushalt (Grundwasserabsenkungen) im Boden Auswirkungen haben. Insbesondere für die Kanalarbeiten sind künstliche Bodenwasserabsenkungen nötig, die sich auch auf die Umgebung auswirken! Auf Anfrage der Baumschutzinitiative bestätigen Experten, dass sich derartige Grundwasserabsenkungen in einem weiteren Umfeld auswirken, als dies der Laie vermuten würde. Hier lauert daher die nächste Gefahr für die nicht offiziell zur Fällung eingeplanten Bäume: Sie könnten den Anschluss an den Grundwasserspiegel verlieren. Vor allem unsere prächtigen, besonders schutzwürdigen denkmalgeschützten Alleenbäume sind zu alt, um neue Wurzeln auszubilden und sich an die neue Situation anzupassen.
Im Oktober 2018 wurden in der Rheinstraße und in der Biebricher Allee Untersuchungen zum Wurzelverlauf von Bäumen vorgenommen. Entgegen der presseöffentlichen Ankündigung wurden die Untersuchungsergebnisse übrigens nicht veröffentlicht. Warum wohl nicht?
Ein Sachverständiger auf Anfrage der Baumschutzinitiative: Schauen Sie sich die Richtungen der Wurzelansätze der Platanen in der Rheinstraße an und Sie wissen, was los ist.
Seinerzeit wurde behauptet, die Linden in der Biebricher Allee und die Platanen in der Rheinstraße seien zw. 50 bis 60 Jahre alt. Eine Anfrage bei den Denkmalschutzbehörden führt diesbezüglich allerdings zu anderen Ergebnissen. Die Platanen in der Rheinstraße seien teilweise ca. 120 Jahre alt. Jene am Kaiser-Friedrich-Ring sollen sogar noch etwas älter und vor der Jahrhundertwende 1984 oder 1994 gepflanzt worden sein. Beim Wiesbadener Stadtarchiv einsehbare Ansichtskarten aus diesem Zeitraum bestätigen dies.
Wiesbadens Bürger sollten den Anblick dieser alten Alleenbäume und „Zeitzeugen" genießen, solange es noch geht. Denn neuzeitliche Straßenbaum-Nachpflanzungen werden künftig das Lebenalter unserer jetzigen alten Straßenbäume nicht einmal mehr annähernd erreichen. Es sollte folglich jedem vernünftigen Kommunalpolitiker einleuchten, dass die alten Bestandsbäume der Hess. Landeshauptstadt möglichst lange erhalten werden müssen. Sie sind eben nicht einfach durch Nachpflanzungen ersetzbar.
Die Baumschutzinitiative Wiesbaden teilt die Auffassung, dass es viele gute Gründe dafür gibt, den Verkehr im innerstädtischen Bereich (und nicht nur dort!) zu reduzieren. Wir sind allerdings nicht der Meinung, dass ausschließlich eine Stadtbahn die ökologisch und ökonomisch verträglichste Alternative zur Erreichung dieses Ziels ist. Schon gar nicht unter Berücksichtigung der aktuell geplanten Streckenführung, die einem förderungsgetriebenen NKU-Wert geschuldet ist und den Erhalt des wertvollen Altbaumbestandes, der für eine Vielzahl innerstädtisch lebender Arten die Lebensgrundlagen bildet, nicht berücksichtigt!
Abschließend noch eine Anmerkung zu dem häufig zu vernehmenden Argument, dass in anderen Städten doch auch Straßenbäume die Strecke einer Stadtbahn zierten und offenbar überlebten:
Sehr alte Straßenbäume, und um diese geht es bei vorliegender Betrachtung, besitzen einen überaus hohen ökologischen Wert. Sie können sich aber, wie weiter oben beschrieben, an plötzlich veränderte Standortbedingungen nicht gleichermaßen gut anpassen wie jüngere Bäume. Seit etwa den 70er bis 80er Jahren führen neuere Straßenbaumethoden bspw. dazu, dass Straßenbäume weitaus seltener ihre Wurzeln in Richtung eines womöglich hochverdichteten, sauerstoffarmen Untergrunds Richtung Straße entwickeln. Altbäume wurden dagegen meist unter völlig anderen Standortbedingungen, bspw. entlang Straßen mit Kopfsteinpflaster ohne Versiegelung, eingepflanzt, unter denen sie ihre Wurzeln entwickeln konnten. Aus diesem Grund ist der angeführte Vergleich mit Stadtbahnen in anderen Städten häufig nicht tragfähig.
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